Als wir die Vorhänge aufziehen rechnen wir eigentlich mit … nichts! Nieselregen, tief hängende Wolken, die fast zum Greifen nah erscheinen und eine Nebelsuppe dabei, die irgendwie nicht besonders vielversprechend aussieht. Aber … das sollte sich im Laufe des Tages auf der Fahrt nach Vík í Mýrdal noch komplett ändern.
Aus dem Frühstücksraum heraus bietet sich jedenfalls erst einmal ein recht kurioses Bild. Die Kuhherde vom Bauern läuft offensichtlich frei herum und ein paar der Tiere sind wohl der Meinung, unser Auto wäre super um Kopf und Hinterm daran zu schubbern. Na klasse, hoffentlich gibt das keine neuen Dellen oder Kratzer, das wäre irgendwie nicht so prickelnd bei der Abgabe des Mietwagens später.
Gestern hatte der Bauer uns noch erzählt, er sei den halben Tag mit seinem Sohn hinter einem ausgebüxten Stier hinterher gelaufen, um ihn wieder einzufangen. Die Rindviecher scheinen ja lustig drauf zu sein hier.
Nach dem Frühstück macht sich erst einmal ein wenig Ratlosigkeit breit. Das Wetter schaut in alle Richtungen immer noch echt besch*ssen aus, nur Richtung Meer ist es ein klein wenig heller offensichtlich. Da ich der festen Überzeugung bin, es könnte dort nicht regnen, steuern wir also als Erstes einen Aerial Fotopunkt an, den ich im Vorfeld per Googlemaps herausgefunden hatte.
Und in der Tat ist es dort zwar nicht am Regnen, die Wolken hängen aber dermaßen tief, das ich in knapp 50 Metern Höhe bereits die untere Wolkendecke mit der Mavic Air 2 erreiche. Das ist natürlich nicht wirklich optimal, zumal ich für eine vernünftige Ansicht der Flussschleife, die ich fotografieren möchte, mindestens doppelt so hoch sein müsste. Aber mal sehen, was mit 50 Metern so möglich ist.
Nicht viel, wie sich herausstellen sollte. Aber ehrlicherweise würde wohl auch bei 100 Metern Höhe die gelbe Schleife nicht ganz aufs Foto passen, da müsste man dann noch höher oder halt etwas weiter weg. Von unserem Parkplatz zum Fotopunkt sind es aber schon gut 2.5 km Flugstrecke und es ist recht windig, daher beschränke ich mich auf einige wenige Knipsereien und trete dann den Rückflug an. Hier war ich aber sicherlich nicht zum letzten Mal.
Irgendwann beschließen wir einfach langsam und gemütlich nach Osten in Richtung Vík í Mýrdal weiterzufahren. Wir haben alle Zeit der Welt für das kurze Stück und können uns also schön Zeit lassen. Unterwegs halten wir an zwei Stellen an der Ringstraße, die ich im Vorfeld schon für Aufnahmen aus der Luft wieder im Kopf hatte.
Zum einen beim Skógafoss, wo es aber so schön windstill ist, das ich mich lieber für eine Spiegelung entscheide als für eine Luftaufnahme, und zum anderen an der Zufahrt zum Sölheimajökull, den wir ja gestern bereits besucht haben. Die einzelnen kleinen Wasserarme, welche sich durch die Sandurfläche den Weg zurück ins Meer suchen, sind fast immer sehr fotogen, wenn man sie aus der Luft fotografiert.
Inzwischen ist der kleine blaue Streifen, den wir vorhin noch am Horizont ausmachen konnten, zu einem stattlichen Wolkenloch angewachsen. Wir trauen ehrlich gesagt unseren Augen kaum. Stahlblauer Himmel, kaum Wind, fotogene Cirruswolken … Herz, was willst Du mehr
Das sind gigantisch gute Bedingungen für die Gegend rund um Vík í Mýrdal, die bei Weitem nicht selbstverständlich sind. Die Region hier unten in der Ecke zählt zu einer der regenreichsten der Insel, kaum irgendwo sonst fällt auf Island so viel Niederschlag wie hier. Nur heute anscheinend nicht und dafür sind wir wirklich sehr dankbar.
Vík í Mýrdal
Gemütlich und mit einem breiten Grinsen im Gesicht steuern wir die unterschiedlichsten Punkte an. Die Lagune Dyrhólaós, wo es sich ein paar Schafe in Wassernähe gemütlich gemacht haben. Den unteren Aussichtspunkt bei Dyrhólaey, wo wir auch die ersten Papageitaucher in diesem Urlaub sehen. Den Strand Reynisfjara, den ich zum ersten Mal dank kaum vorhandener Wellen sogar bis hinter die Ecke erkundet habe.
Dort wo die Felszinnen im Meer stehen, geht es nämlich noch weiter. Aufgrund der starken Wellen und weil gerade immer Flut war, konnte ich dort aber noch nie weitergehen. Heute aber ist alles anders. Wellen? Fehlanzeige. Dazu noch Ebbe, also was will man mehr?
Ich entdecke eine kleine Höhle, einige wirklich fotogene Felsklumpen, freue mich über die Fernsicht bis weit rüber nach Hjörleifshöfdi und erspähe auf einem Felsvorsprung sogar eine Hundertschaft von Papageitauchern. Leider haben die auch schon einige andere Reisende entdeckt und kleben förmlich an der steilen Klippe, um sie abzulichten. Muss so etwas sein? Na ja, so bekloppt bin ich nicht wirklich, außerdem sieht mir das viel zu unsicher dort aus.
Kirkjufjara
Nachdem wir uns hier ausgiebig umgeschaut haben, fahren wir rüber auf die andere Seite vom Reynisfjall und statten dem Kirkjufjara einen Besuch ab. Fotogen wie immer und mit blauem Himmel schaut das heute auch mal wieder völlig anders aus. Dazu die Wolken, die ihn regelrecht zu umströmen scheinen. Das habe ich so auch noch nicht gesehen.
Da der Felsmonolith Hjörleifshöfdi nur einen Steinwurf von Vík í Mýrdal entfernt liegt (okay, es sind 15 Kilometer, um genau zu sein), fahren wir als Nächstes dort hin.
Yoda Cave & Lásadrangur
Beim Hjörleifshöfði fahren wir einmal um den markanten Felsmonolithen herum bis ans andere Ende. Dort befindet sich die Höhle Gýgagjá, die in den letzten Jahren unter dem Namen Yoda Cave immer bekannter wurde. Auf dem Foto kann man unschwer erkennen, wieso das so ist.
Die Akustik in der kleinen Höhle ist übrigens dermaßen außergewöhnlich, das dort schon diverse Musikvideos gedreht und Minikonzerte stattgefunden haben inzwischen. Und fotogen ist sie ja allemal.
Ein Stückchen weiter, mitten in der Sanderebene, befindet sich noch ein Kuriosum. Der Nashornfelsen, bei Isländern besser bekannt als Lásadrangur. Mitten im Nichts steht er dort. Da es keinen ersichtlichen Weg oder eine Fahrspur gibt und der Sand recht weich zu sein scheint, fliegen wir dort nur mit der Drohne hin. Für solche Fälle ist so ein Ding ja echt praktisch.
Wer einen geeigneten 4×4 hat, der kann Hjörleifshöfði von hier aus übrigens auch versuchen auf einem Jeep Track einmal komplett zu umrunden, steht nach einiger Zeit aber vor einer nicht ganz so harmlosen Furt, da der Untergrund aus weichem Tiefsand besteht und man sich dort gerne einmal festfährt.
Þakgil
Auf dem Rückweg kommen wir am Kerlingardalsvegur vorbei, dem Abzweig nach Þakgil. Auf deutschsprachigen Seiten wird man den Namen auch häufig mit „TH“ geschrieben vorfinden, also Thakgil. Das liegt am ersten Buchstaben, dem Þ, was in der altnordischen Sprache, sowie dem heutigen isländischen Alphabet einem TH gleichkommt. Der Buchstabe entstand aus der Rune Thurisaz. Von einigen wird stattdessen ein einfaches P beim schreiben verwendet, das ist aber definitiv FALSCH. Soviel zur kleinen Wikiwissen-Aufschlauung für Zwischendurch.
Da es gerade einmal kurz nach 15 Uhr ist, entscheiden wir spontan, die knapp 14 Kilometer lange Stichstraße nach Þakgil heute auch noch zu fahren. Das war eigentlich für morgen erst geplant, aber was weg ist, ist weg. Und wer weiß schon, ob das Wetter morgen noch einmal so mitspielt.
Bei Þagkil lautet das Motto ganz klar „Der Weg ist das Ziel“. Ich finde die Straße #214 ist einer der am schönsten zu fahrenden Straßen überhaupt. Kaum irgendwo sonst hält man so oft an, um wieder „mal eben“ noch ein Foto zu machen. Die Eindrücke unterwegs sind einfach gigantisch.
Oben am Campground bei Þakgil angekommen ist es weder voll noch leer. Es ist ein gesundes Mittelmaß an Besuchern würde ich meinen, die aber größtenteils aus Isländern bestehen.
Wir laufen den Trail hoch zum Wasserfall, der dieses Mal irgendwie völlig anders rüberkommt als noch beim letzten Mal, wo durch den Nebel eher der Eindruck erweckt wurde, man würde sich gerade auf dem Weg nach Mordor befinden. So unterschiedlich können Orte aussehen, je nachdem was für ein Wetter gerade ist.
Ankunft bei Martina & Jon
Gegen 18 Uhr erreichen wir schließlich unsere Unterkunft bei Martina & Jón etwas außerhalb von Vík í Mýrdal. Was soll ich dazu noch sagen? Wenn Du die Seite hier schon länger verfolgst, dann wirst Du ja wissen, das es meine absolute Lieblingsunterkunft auf Island ist. Der Empfang von Martina ist herzlich wie immer, es fühlt sich halt wieder an wie „nach Hause kommen“. Auch, wenn die Umarmung bei der Begrüßung aufgrund von Corona dieses Mal leider ausfällt.
Jón werkelt mit seinem Sohn gerade an einer der Scheunen herum und hat gar nicht mitbekommen, das wir überhaupt angekommen sind. Ich überrasche ihn, wie er in der Schaufel seines Traktors steht und versucht, die äußere Verkleidung der Scheune abzuhebeln, da diese erneuert werden soll. Die Arbeit auf solch einem Bauernhof wird halt irgendwie auch nicht weniger, zu tun gibt es immer irgendetwas.
Wir sind heute die einzigen Übernachtungsgäste, erst Morgen kommt eine weitere Familie an. Sie ist ebenfalls aus Deutschland und bleibt ebenfalls für zwei Nächte. Nach einem ausgiebigen ersten Plausch mit Martina und Jón und nachdem wir etwas zu Abend gegessen haben, beschließen wir gegen 21 Uhr zum Sonnenuntergang noch einmal loszufahren.
Da anscheinend schon recht viele Leute aufgrund meiner Berichte zu Martina & Jón gefunden und dort übernachtet haben, haben die beiden entschlossen für Gäste, die über meine Seite kommen einen Rabatt zu geben auf den sonst üblichen Übernachtungspreis.
Kontaktiere die beiden dazu am besten per eMail oder WhatsApp und erwähne kurz, das Du den Kontakt über meine Seite gefunden hast. Die eMail-Adresse und/oder Telefonnummer bekommst Du gerne bei mir auf Nachfrage.
Kap Dyrhólaey
Unser Ziel ist der Leuchtturm oben bei Kap Dyrhólaey. Dicke Wolken machen uns aber leider einen Strich durch den sonst roten Abendhimmel. Stattdessen gibt es etwas, womit wir dort jetzt nicht mehr wirklich gerechnet hätten … Papageitaucher. In einer Menge, die sich kaum in Worte fassen lässt.
Außer uns stehen nur noch drei weitere Autos oben auf dem Parkplatz, die Fahrer scheinen alle gleichermaßen überrascht zu sein wie wir. Wer braucht schon einen Sonnenuntergang, wenn die putzigen Vögel hier gerade nur eine Armlänge entfernt von einem am Klippenrand sitzen?
Völlig überwältigt von der puren Anzahl der Vögel fahren wir irgendwann glücklich zurück zur Farm. Was war das bitte für eine toller Tag hier in der Gegend rund um Vík í Mýrdal? So bescheiden wir er heute Morgen auch angefangen hat mit den tief hängenden Wolken und Regen, so unglaublich hat er sich dann auch entwickelt im Laufe des Tages.
Aber genau DAS ist es ja, was den Aufenthalt hier auf Island oft so einmalig und unvergesslich macht. Du guckst morgens aus dem Fenster und rechnest eigentlich aufgrund der Wetterlage erst einmal mit Nichts. Und kaum bist Du unterwegs ändern sich die Bedingungen schlagartig und Du stehst bei herrlichen Sonnenschein an einem der sonst regenreichsten Orte der Insel. Island eben, Du musst hier gewesen sein, um so etwas wirklich zu begreifen.
Gefahrene Kilometer heute: 268